Der BBV wettert gegen das Volksbegehren Artenvielfalt

(Lesedauer: 6 min.)

Im Tölzer Kurier (Merkur-Verlag) bot man Peter Fichtner aus Bad Heilbrunn, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands (BBV) die Plattform für seine Haltung zum Volksbegehren Artenvielfalt. Hier der Link zum Interview, das die Zeitung unkommentiert und unrecherchiert veröffentlichte:

https://www.merkur.de/lokales/bad-toelz/bad-heilbrunn-ort28281/volksbegehren-rettet-bienen-viele-kleinbaeuerliche-betriebe-muessten-aufhoeren-11484281.html

Dann will ich mal etwas genauer beleuchten, was der Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands in dem Interview dem Merkur gegenüber so behauptet:


Fichtner: „Bei Betrieben mit Weide ist immer eine Blühwiese für die Insekten vorhanden.“

Wirklich immer? Bei jedem Betrieb? Wo sind diese Blühwiesen die er meint denn? Aus zweimal gemähten artenreichen Wiesen werden doch vielerorts stark gedüngte artenarme Produktionsflächen für Hochleistungskühe. Tiefgrüne Grasacker, wenn man so will, aber keine bunt blühenden Wiesen.


Fichtner: „Natürlich trägt die Landwirtschaft einen Teil der Verantwortung. Sie allein ist aber nicht das Problem.“

Nicht allein, aber das Hauptproblem. Vor allem die industrielle Landwirtschaft mit ihren Giften (Neonicotinoide…), Herbiziden (Glyphosat…), Überdüngung und ausgeräumten, monotonen Agrarflächen. Dazu gehören auch Biotopverluste aufgrund erhöhten Stickstoffgehalts im Boden. (Quelle: http://www.bund-rvso.de/insektensterben-quellen-studien-ursachen.html)
Das schadet vor allem pflanzenfressenden Insekten wie Schmetterlingsraupen, deren Nahrungsgrundlage vor allem Pflanzen darstellen, die im Stickstoffmangel stehen. Sind sie zu gut genährt, werden sie selbst nicht zur Nahrung. Die starke Düngung von Feldern und Wiesen ist ganz besonders problematisch für Arten, die auf ausgesprochen nährstoffarme Biotope spezialisiert sind. (Quelle: https://www.br.de/rote-liste/insekten-insektensterben-insektenschwund-bienen-schmetterlinge-kaefer-grillen-100.html)


Fichtner: „Weltweit gibt es jeden Tag 200 000 Flugbewegungen. Auch der Straßenverkehr wird einfach nicht zur Kenntnis genommen.“

In den meisten Studien zum Insektensterben werden auch diese Ursachen erkannt und behandelt. Es ist schlicht und ergreifend eine Falschaussage, dass dies nicht zur Kenntnis genommen würde. Hauptursache bleibt dennoch die intensive Landwirtschaft, trotz aller weiteren Nebenursachen.


Fichtner: „Oder die Tatsache, dass die meisten Insekten sehr darunter leiden, dass es wegen der künstlichen Beleuchtung nie wirklich dunkel wird. Das wird einfach nicht genauer untersucht. Der Gesetzesentwurf blendet die Verantwortung aller aus.“

Wieder klare Falschaussage. Erstens ist das Problem der Lichtverschmutzung bekannt und wird diskutiert und behandelt. Zweitens geht das Volksbegehren in seinem §1 Nr. 5 sogar explizit darauf ein. Und zwar sieht der Gesetzentwurf die Neuschaffung eines Art. 11a vor mit folgendem Inhalt:

„Himmelstrahler und Beleuchtungsanlagen: Eingriffe in die Insektenfauna durch künstliche Beleuchtung im Außenbereich sind zu vermeiden. Himmelstrahler und Einrichtungen mit ähnlicher Wirkung sind unzulässig. Beim Aufstellen von Beleuchtungsanlagen im Außenbereich müssen die Auswirkungen auf die Insektenfauna, insbesondere deren Beeinträchtigung und Schädigung, überprüft und die Ziele des Artenschutzes berücksichtigt werden. Beleuchtungen in unmittelbarer Nähe von geschützten Landschaftsbestandteilen und Biotopen sind nur in Ausnahmefällen von der zuständigen Behörde oder mit deren Einvernehmen zu genehmigen.“


Fichtner: „Wenn jeder Gartenbesitzer in Deutschland zehn Quadratmeter seines Gartens als Blühfläche stehen lässt, würden wir allein dadurch 20 000 Hektar an Blühwiesen gewinnen. Es gibt aber sicherlich nicht wenige, die das Volksbegehren unterstützen und selbst zweimal pro Woche den Mähroboter in ihrem Garten laufen lassen. Angesichts dieser Scheinheiligkeit platzt mir wirklich der Kragen.“

Mir platzt der Kragen wenn ich solche unbelegten Hypothesen lese. Erstens sind es gerade die Kleingärtner die enorm zur Artenvielfalt beitragen und mit Sträuchern, Blumenbeeten, Obstbäumen und artenreichen Gartengestaltungen enormes für die Insekten leisten. Zweitens nimmt ein gemähter Rasen in einem Privatgarten, der von summenden Hecken umgeben ist, die Landwirte doch nicht aus ihrer Pflicht. Bei so einer Scheinheiligkeit platzt einem wirklich der Kragen. Schauen wir dazu mal auf die Top 3 der Flächennutzung Bayerns:

Quelle: Bay. Landesamt f. Statistik: So sah es 2015 aus. Zu den darüber im Text genannten jüngeren Zahlen habe ich keine solche Übersichtsgrafik gefunden.

Angesichts dieser Relationen erscheint es einigermaßen lächerlich wenn Bauern mit dem Finger auf die Privatgärtner zeigen, von denen wiederum nur ein kleiner Teil die (zurecht) kritisierten Steingärten oder robotergemähten Kurzrasen vorhält.


Fichtner: „Viele kleinbäuerliche Betriebe müssten aufhören, vor allem die im Nebenerwerb. (…) Tritt das Gesetz in Kraft, fällt der Grundsatz zur Förderung weg – und damit das Geld.“

Das ist eine Befürchtung, aber darum noch lang kein Fakt. Oder gibt es nachvollziehbare Belege/Quellen für diese Aussage? Das befürchtete großflächige Wirtshaussterben nach dem Rauchverbot blieb auch aus. Und davon abgesehen gibt es genug Argumente gegen diese Befürchtungen. Auch von bäuerlicher Seite: Biobauern-Verbände und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft argumentieren dagegen. Bei weitem nicht alle Bauern teilen diese Paranoia des BBV.


Fichtner: „Der Wunsch nach mehr Biolandbau muss aber von den Verbrauchern kommen.“

Nein, nein und nochmal nein. Es ist eine Unsitte alle Verantwortung immer nur auf den Verbraucher abzuwälzen. Es ist eine Frechheit die Schuld ausschließlich beim Verbraucher zu suchen. Der Markt kann auch Nachfrage schaffen und steuern, indem er das Angebot bestimmt. Wenn’s nur noch Bio gibt, kaufen die Leute nur noch das. Das heutige „konventionell“ sollte Kennzeichnungspflichtig werden, dann würde sich das Verbraucherverhalten ändern. Der Gesetzgeber und die Wirtschaft könnten das durchaus beeinflussen, so dass „Bio“ das neue konventionell würde, also das gewohnte Standardangebot.

Deutschland bewirtschaftet nur 7-8% seiner Landwirtschaftsflächen ökologisch. Unser Nachbar Schweiz mit 14% rund doppelt so viel und Österreich daneben mit rund 25% mehr als dreimal so viel. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland gerade mal im Mittelfeld. Vor uns sind sind bspw. Liechtenstein (38%), Französisch-Polynesien (31%), Samoa (22%), Estland (19%), Schweden (18%), Italien (15%), Lettland (14%), Tschechien (12%), Uruguay (11%), Finnland (10%). Die haben auch nicht auf Verbrauchernachfrage gewartet, die tun’s einfach.

So wie Russland: Dort wurde ein Gesetz verabschiedet, dass das Land wohl zum wichtigsten Exporteur von Bio-Lebensmitteln machen wird. Das greift bereits ab 1.1.2020, also nächstes Jahr. Russland könnte damit ein Viertel der globalen Anteile am Bio-Markt einnehmen. Deutschland hat’s verpennt und reiht sich hinten ein.

(Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Ökologische_Landwirtschaft und https://www.agrarheute.com/politik/russland-will-oekolandbau-foerdern-542235 und https://deutsch.rt.com/russland/74392-bio-a-la-russe-russland-bio-nahrungsmittel/)

Und wer jetzt behauptet mit Ökolandwirtschaft könnten wir die Bevölkerung nicht ernähren, der ist nicht auf dem aktuellsten Stand. Solche Aussagen sind inzwischen mehrfach widerlegt. Solange wir es uns leisten können bis zu einem Viertel der weltweiten Nahrungsproduktion verschwenderisch im Müll zu entsorgen, müssen wir keine Angst vor Mangel haben.


Tölzer Kurier: „Was halten Sie von der Forderung, den Einsatz von Pestiziden einzudämmen?“
Fichtner: „In Gründlandregionen wie hier ist diese Forderung eine Lachnummer. Ackergifte kommen hier zu 99,9 Prozent ohnehin nicht zum Einsatz. Für was auch? Als Unkrautpflanze gibt es eigentlich nur den Ampfer.“

Aha… und weil in Bad Heilbrunn und dem Bayerischen Oberland als Gründlandregion das ganze eine Lachnummer wäre, ist eine entsprechende gesetzliche Regelung für den Rest Bayerns auch abzulehnen?

Keine zwei Autostunden vom idyllischen Oberland weg, egal ob Richtung Nord- oder Ostbayern, wo’s weniger Gründland dafür weit mehr Ackerbau gibt, sieht die Welt nämlich leider ganz anders aus. Was dort mehrfach im Jahr auf die Felder gespritzt wird, das kann sich einer nicht vorstellen der noch nie über’n Alpenrand-Tellerrand hinausgeschaut hat. Bayern besteht aber nicht nur aus der grünen Alpenregion, in der tatsächlich weit weniger Gifte zum Einsatz kommen. In den meisten anderen Regionen Bayerns ist es zwingend nötig den Einsatz stärker zu reglementieren.

Darum ist es schon arg kurzsichtig den Gesetzentwurf zu boykottieren, weil in Bad Heilbrunn sowieso wenig gespritzt wird. Engstirniger und kleingeistiger geht es wohl kaum.

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